Kreativität und Flexibilität

Viele Merkmale werden in ihrer Ausprägung stark durch die genetischen Erbanlagen beeinflusst. Durch zufällige Mutationen im Genom können im Laufe der Stammesgeschichte neuartige Merkmale und Merkmalsausprägungen entstehen und durch Fortpflanzung und genetische Vererbung an Folgegenerationen weitergegeben werden.

Lebewesen können sich jedoch auch zu gewissen Grad anpassen, indem sie ihr Verhalten ändern bzw. neue Verhaltensweisen lernen. Scheinbar war z.B. eine bedeutende Verhaltensänderung, die unsere Vorfahren „erfanden“ und welche ihnen einen Überlebens- und Fortpflanzungsvorteil verschaffte, die Herstellung bestimmter neuartiger Steinwerkzeuge.

Wie entstehen jedoch solche neuartigen Verhaltensweisen in einer Population? Biologen untersuchen in Experimenten das Verhalten von verschiedenen Tierarten, um ihre Innovationsfähigkeit zu beurteilen, d.h. wie neugierig, innovativ, kreativ, flexibel oder einfallsreich die Tiere sind.

Wie würdet ihr ein Experiment entwickeln, um z.B. die Neugier oder Kreativität von verschiedenen Tierarten zu vergleichen, wenn ihr ein Verhaltensbiologie wärt?

Eine Reihe von Experimenten wurde mit Vertretern von mehr als 100 Säugetier- und Reptilienarten in verschiedenen Zoos durchgeführt: 49 Primatenarten, 23 Raubtierarten, 15 Nagetierarten, 6 Ursäuger oder Beutelsäuger (“primitive” Säugetiere) und 19 Reptilienarten. Die Tiere wurden einzeln in einen Käfig gebracht, in welchen bestimmte Objekten gelegt wurden: Holzblöcke, Stahlketten, Holzpfähle und Gummischläuche. Die Forscher beobachteten dann über einen Zeitraum von sechs Minuten für jede Objektart, wie die Tiere mit diesen Objekten umgehen: wie oft werden sie mit den Objekten in Kontakt kommen oder ihre Aufmerksamkeit und Orientierung auf das Objekt richten. Diese Beobachtungen sollten ein Maß für die Neugier der Tiere sein.

Die durchschnittliche Anzahl an Reaktionen für alle Objekte von Vertretern unterschiedlicher Tiergruppen in einem Experiment zur Neugier. Quelle: verändert nach Glickman & Sroges (1964)

Welche Tendenzen können wir im linken Diagramm erkennen? Welche Tierarten zeigen laut den Ergebnissen dieses Experimentes die geringste Neugier, welche die größte?

Finde diese verschiedenen Tierarten in einem Stammbaum. Wie sind sie miteinander und mit uns Menschen verwandt?

In einem weiteren Experiment wurde nicht nur untersucht, ob Tiere eine gewisse Neugier zeigen und sich mit einem neuen Objekt beschäftigen, sondern auch, wie divers ihre Beschäftigung mit dem Objekt ist. Die Forscher interessierten sich dafür, wie viele verschiedene Verhaltensweisen die Tiere zeigen, und welche Körperteile sie wie verwenden.

Verschiedenen Primatenarten wurden Nylon-Seile zur Verfügung gestellt und dann wurde beobachtet, wie sie einzeln in einem Zeitraum von 45 Minuten mit diesen Objekten umgehen – wieviele Körperteile sie einsetzten (Hände, Arme, Füße, Beine, Schwanz, Oberkörper), welche unterschiedlichen Aktionen sie ausführten (z.B. werfen, beißen, drücken, ziehen, drehen…), und mit welchen Teilen des Seils sie sich beschäftigten. Die Forscher betonen, dass die Tiere nicht in irgendeiner Weise für ihr Verhalten belohnt wurden (z.B. in dem sie Futter bekamen, nachdem sie eine bestimmte Reaktion zeigten).

Mittlere Anzahl der verwendeten Körperteile, der Aktionen, der Kombinationen aus Körperteil und Aktion, und den sog. Reaktions-Diversitäts-Index. Wenn der Index hoch ist, zeigten Tiere viele verschiedene Aktionen, die alle gleich oft vorkommen können. Wenn der Index klein ist, zeigten die Tiere nicht viele verschiedene Aktionen, und einige wenige Aktionen überwiegten. Quelle: verändert nach Parker (1974)

Welche Tendenzen können wir im linken Diagramm erkennen? Welche Primatenarten zeigen laut den Ergebnissen dieses Experimentes die größte Innovationsfähigkeit, Flexibilität oder Kreativität?

Warum betonen die Forscher, dass die Tiere nicht für bestimme Verhaltensweisen belohnt oder bestraft wurden?

Finde die unterschiedlichen Primatenarten in einem Stammbaum. Wie sind sie miteinander und mit uns Menschen verwandt?

Wolfgang Köhler war einer der ersten Wissenschaftler, der die Intelligenz und das Verhalten von Schimpansen in Versuchen genauer beobachtete. Seine Experimente zum Lernen sind sehr bekannt. Sie zeigen, wie Schimpansen durch ständiges Ausprobieren von neuen Verhaltensweisen und durch neuartige Verwendung von herumliegenden Dingen versuchen, ein Ziel zu erreichen (z.B., an eine Banane zu kommen). Ohne diesen Drang des Ausprobierens würde es ihnen wohl nicht gelingen, in dieser Situation letztendlich eine Lösung zu finden und diese durch Übung zu verbessern.

Was könnten wir aus den Ergebnissen dieser Tierbeobachtungen darüber schließen, welche Bedeutung Innovationsfähigkeit und Kreativität im Laufe der Evolutionsgeschichte unserer Art haben?

siehe auch: Kumulative Kultur

Aufgrund unserer Fähigkeit für Sprache und die Tendenz, andere Menschen in unserer Umgebung nachzuahmen, wird unsere Innovationsfähigkeit, und die Fähigkeit neue Dinge auzuprobieren, jedoch oft beeinträchtigt. Durch Sprache kreieren wir Regeln in unserem Kopf, und kommunizieren diese mit anderen Menschen, welchen wir oft auf relativ starre Weise folgen – „Man soll das so und nicht so machen“ usw.

Deshalb können wir beobachten, dass Menschen manchmal weniger flexibel sind als andere Menschenaffen, wenn es darum geht, Lösungen für neuartige Probleme zu finden, oder Dinge auf neue Weise zu tun!

Literaturangaben

  • Glickman, S. E., & Sroges, R. W. (1966). Curiosity in Zoo Animals. Behavior, 26(1), 151–188. Retrieved from https://www.jstor.org/stable/4533136
  • Parker, C. E. (1974). Behavioral diversity in ten species of nonhuman primates. Journal of Comparative and Physiological Psychology, 87(5), 930–937. http://doi.org/10.1037/h0037228
  • Pope, S. M. (2018). Differences in Cognitive Flexibility Within the Primate Lineage and Across Human Cultures: When Learned Strategies Block Better Alternatives. Neuroscience Institute Dissertations. Retrieved from https://scholarworks.gsu.edu/neurosci_diss/33
  • Reader, S. M., Morand-Ferron, J., & Flynn, E. (2016). Animal and human innovation: novel problems and novel solutions. Philosophical Transactions of the Royal Society B: Biological Sciences, 371(1690), 20150182. https://doi.org/10.1098/rstb.2015.0182
  • Suddendorf, T., & Whiten, A. (2007). Great Ape Cognition and the Evolutionary Roots of Human Imagination. In: I. Roth (Ed.), Imaginative Minds. Proceedings of the British Academy (pp. 31–59). Oxford University Press. http://doi.org/10.5871/bacad/9780197264195.003.0002