Lange Zeit dachte man, dass der Gebrauch und die Herstellung von Werkzeugen Merkmale sind, die uns Menschen von allen anderen Arten unterscheiden. Doch heute wissen wir, dass viele Tierarten Objekte aus ihrer Umgebung für verschiedene Zwecke benutzen, und sogar Werkzeuge herstellen, indem sie diese Objekte für ihre Zwecke verändern. Einige Primatenarten sind unter den geschicktesten und flexibelsten Werkzeugnutzern. Das vielfältigste und größte Werkzeugrepertoire wurde bisher unter Schimpansen beobachtet. So verwendeten unsere vor 3-4 Mio Jahren lebenden Vorfahren sicherlich auch Steine, Stöcke und Zweige, um verschiedene Nahrungsquellen der Savanne besser auszuschöpfen. Wir können allerdings nur darüber vermuten, denn diese Werkzeuge hinterlassen keine bleibenden Spuren.

Neukaledonische Krähen zählen zu den intelligentesten Vogelarten und können auf flexible Weise aus Zweigen Werkzeuge herstellen und für die Futtersuche einsetzen.

Schimpansen verwenden vielzählige Arten von Werkzeugen für verschiedene Zwecke. Schimpansen und andere Menschenaffen haben gute Fähigkeiten, ihre physische Umwelt wahrzunehmen und zu verstehen. So erkennen sie, welche Eigenschaften verschiedene Objekte haben, und wie sie diese für bestimmte Zwecke einsetzen können.

Werkzeugherstellung und menschliche Evolution

Doch 2,6 Mio Jahre alte archäologische Funde zeugen von einer neuen Art von Werkzeug: bearbeitete Steinwerkzeuge mit scharfen Schneidekanten. Es gibt Hinweise, dass solche Werkzeuge bereits vor 3,4 Mio Jahren von Australopithecines verwendet wurden.

Das Überleben und die Fortpflanzung der zu dieser Zeit lebenden Homininen hing wahrscheinlich viel davon ab, an genügend tierische Nahrung zu kommen. So gab es einen hohen Selektionsdruck auf die Verwendung und Bearbeitung von herumliegenden Objekten, um das Fleisch besser vom Kadaver zu trennen, Knochen aufzubrechen, und Fressfeinde abzuwehren. Mit bearbeiteten Steinen, die scharfe Schneidekanten hatten, konnte mehr Nahrung effizienter beschafft werden als “mit bloßen Händen” oder anderen Körperteilen. Vermutlich waren Vertreter von Homo habilis die Hersteller dieser ersten Steinwerkzeuge.

Die Herstellung dieser Steinwerkzeuge unterschied sich scheinbar bereits in einigen Merkmalen von der Herstellung und Nutzung von Werkzeugen, die wir unter Schimpansen beobachten können: ein Objekt (der Hammerstein) wird verwendet, um ein anderes Objekt zu bearbeiten. Es erfordert bereits höhere Koordination der Hände und eine erhöhte Ausdauer, um einen Steinabschlag herzustellen.

Außerdem wird die Herstellung und Verwendung von Werkzeugen unter Primaten im Laufe eines Lebens durch Beobachtung und Nachahmung von Artgenossen gelernt. Diese Form des Lernens nennen Verhaltensforscher „soziales Lernen“. Je komplexer die Werkzeuge und deren Herstellung, desto besser müssen die Fähigkeiten für soziales Lernen sein, damit sich die Werkzeugherstellung in einer Population ausbreiten und an Nachkommen weitergegeben werden kann.

2,6 Mio Jahre altes Werkzeug der Oldowan-Kultur

Anthropolog:innen haben dem Bonobo Kanzi das Herstellen von solchen Oldowan-Steinwerkzeugen beigebracht, um zu untersuchen, inwieweit die Fähigkeit für diese Werkzeugherstellung auch in unseren nächsten Verwandten vorhanden ist. Kanzi kann diese Steinabschläge zwar herstellen und verwenden, aber scheinbar ist er nicht ganz so geschickt wie die Hersteller der ältesten Oldowan-Steinwerkzeuge. Diese mussten bereits eine verbesserte Kontrolle der Handbewegungen und Ausdauer gehabt haben als Schimpansen und Bonobos.

Fragen zum Video:

  • Welche Verhaltensweisen und Fähigkeiten von Kanzi beobachtet ihr, während er Steinabschläge herstellt? Wie geschickt ist er?

  • Welche Unterschiede zwischen der Werkzeugherstellung von Schimpansen und Bonobos in der Wildbahn und der Bearbeitung von Steinen durch Kanzi fallen euch auf?

  • Spielt die Betreuerin von Kanzi im Video eine gewisse Rolle für Kanzi, dass er die Aktivität nicht aufgibt?

Fragen zum Video:

Vergleicht die Werkzeugherstellung und -verwendung durch Schimpansen in der Wildbahn (z.B. das Angeln von Termiten mithilfe von vorbereiteten Zweigen) mit der Herstellung/Verwendung des Steinwerkzeugs durch Kanzi:

  • Wieviele Arbeitsschritte sind es von der Auswahl des Materials bis zur tatsächlichen Anwendung des Werkzeugs und Lösung des eigentlichen Problems ( Erwerb von Nahrung)

  • Wie weit liegen die Werkzeugherstellung und die Verwendung des Werkzeugs für den eigentlichen Zweck zeitlich und räumlich auseinander?

  • Wieviel Kraft, Ausdauer, und Feinmotorik der Hand erfordern die Herstellung und Verwendung des Werkzeugs bis zur Lösung des eigentlichen Problems?

Ursache-Wirkungs-Diagramm zur Evolution der Steinwerkzeugherstellung

Die Umweltbedingungen der Savanne waren zunehmend derart, dass diejenigen Hominiden höhere Überlebens- und Fortpflanzungschancen hatten, die sich tierisch ernähren konnten. Unter diejenigen, die sich tierisch ernährten hatten wiederum diejenigen höhere Überlebens- und Fortpflanzungschancen, die mithilfe von Werkzeugen so viel Fleisch wie möglich effektiv ausbeuten konnten. Bessere Werkzeuge für die Ausbeute von Fleisch und Knochenmark, und damit höhere Überlebens- und Fortpflanzungschancen, hatten diejenigen, die erhöhte geistige Fähigkeiten für die Herstellung dieser Werkzeuge hatten. Dazu gehören Ausdauer, die Fähigkeit, Handbewegungen zu koordinieren, und die Fähigkeit, passende Objekte aus der Umgebung für die Herstellung auszuwählen. Außerdem hatten diejenigen bessere Werkzeuge, die sich die Herstellung dieser Werkzeuge durch soziales Lernen aneignen konnten. Gene, die an der Ausbildung dieser Fähigkeiten beteiligt sind, wurden an ihre Nachkommen vererbt, welche ebenfalls bessere Überlebens – und Fortpflanzungschancen hatten aufgrund ihrer Fähigkeit, effektive Werkzeuge herzustellen.

Weitere Diskussionsfragen:

  • Wenn die Herstellung von Werkzeugen auch durch soziales Lernen weitergegeben wird, welche Rolle spielte dann wahrscheinlich die soziale oder kulturelle Umwelt für der Ausbildung der Fähigkeiten unserer Vorfahren, die Steinwerkzeuge der Oldowan-Kultur herzustellen? Wie können wir das Ursache-Wirkungs-Diagramm erweitern, um auch die Rolle dieser Faktoren abzubilden?

  • Sind für die Herstellung von Steinwerkzeugen auch bestimmte körperliche Merkmale von Vorteil, welche sich dann durch natürliche Selektion in den Populationen unserer Vorfahren ausgebreitet haben könnten?

Mögliche Erweiterungen des Ursache-Wirkungs-Diagramms, um die zusätzliche Rolle der sozialen / kulturellen Umwelt in der Entwicklung der Herstellung bestimmter Werkzeuge darzustellen, sowie die natürliche Selektion von körperlichen Merkmalen, die die Herstellung und Nutzung von Steinwerkzeugen erleichtern.

Literaturangaben