Viele Tierarten leben unter Umweltbedingungen, in denen sie es nicht allein schaffen, genügend Nahrung zu finden, um zu überleben und sich fortzupflanzen. Das kann z.B. daran liegen, dass vorhandene Beutetiere zu groß, zu stark oder zu schnell sind, um von einem Individuum allein gejagt zu werden. Auf der anderen Seite können Konkurrenten zu groß und stark oder zu zahlreich sein, um seinen Fang allein vor ihnen zu schützen. Diese Tierarten können also nur überleben und Nachkommen aufziehen, wenn sie in der Nahrungsbeschaffung mit anderen kooperieren.

Zwei Löwen kooperieren, um einen großen Büffel zu erlegen.
Bildquelle: Corinata, Creative Commons CC BY-SA 3.0

Kanadische Wölfe umzingeln ein Bison.
Bildquelle: Doug Smith, gemeinfrei

Afrikanische Wildhunde fressen an einem gemeinsamen Fang.
Bildquelle: Brain Gatwicke, Creative Commons BY 2.0

Kooperative Nahrungssuche und menschliche Evolution

Die Umweltbedingungen in Ost-Afrika veränderten sich im Laufe der menschlichen Evolutionsgeschichte so, dass sie von den Homininenarten zunehmend eine kooperative Nahrungssuche erforderten, um überleben zu können. Vor ca. 3 Mio Jahren wurde das Klima trockener, die Vegetation wurde spärlicher, und es breiteten sich weidende Huftierarten wie Antilopen und Büffel aus. Diese wurden von spezialisierten Räubern, wie Leoparden, Hyänen, und Säbelzahntigern gejagt.

Einige zu dieser Zeit lebende Hominin-Arten, wie Paranthropus boisei und Australopithecus africanus, spezialisierten sich auf pflanzliche Nahrung, wie Nüsse, Gräser, Wurzelknollen, Früchte. Hominiden, die diese spärlichen, harten, saisonalen Nahrungsquellen besser ausschöpfen konnten, hatten einen Überlebensvorteil. Durch natürliche Selektion entstanden in diesen Arten ausgeprägte Gebisse und große Zähne, und sie werden „robuste Australopithecinen“ gennannt.

Doch diese pflanzliche Nahrung wurde immer spärlicher, und Vertreter dieser Arten starben allmählich aus.

Anhand von Fossilienfunden in Ost-Afrika kann geschätzt werden, welche Tierarten zur jeweiligen Zeit weit verbreitet waren. Der Anteil an weidenden Huftieren nahm ab 2,5 Mio Jahren zu. Quelle: verändert nach deMenocal (2011)

Zu dieser Zeit begannen einige andere Hominini auch, vermehrt die tierischen Nahrungsquellen der Savanne auszuschöpfen. Dies waren die ersten Vertreter der Gattung Homo.

Doch es ist gar nicht so einfach, als Primat mit den spezialisierten Räubern der Savanne um Beutetiere zu konkurrieren. Schließlich hatten unsere Vorfahren keine scharfen Reißzähne oder Klauen.

Bissspuren an fossilen Knochen weisen darauf hin, dass unsere frühen Vorfahren die letzten Überreste der von anderen Raubtieren gejagten Kadaver ausbeuteten. Wahrscheinlich gab es Zeiten, zu denen dies die wichtigste zuverlässige Nahrungsquelle für unsere Vorfahren war. So waren sie zunächst Aasfresser, und sie selbst wurden von diesen Raubtieren gejagt und gefressen!

Sie mussten also zu gewissen Grad zusammen arbeiten können, um gemeinsam gefundenes Fleisch und Knochenmark auszubeuten, während andere in ihrer Gruppe Fressfeinde abwehrten. Anschließend mussten sie die Nahrung mit allen anderen in der Gruppe, inklusive den weiblichen Mitgliedern und Nachkommen, teilen. Die Gruppen, in denen Mitglieder sich gegenseitig tolerierten und nicht aggressiv wurden, und ihre Aktivitäten etwas koordinieren konnten, während sie den gleichen Kadaver ausbeuteten, hatten bessere Überlebenschancen als Gruppen, in denen Mitglieder in Streit gerieten und sich bekämpften, wenn es um die Aufteilung der Nahrung ging. Die Gruppen, in denen Mitglieder ihre Rollen in einer gemeinsamen Aktivität etwas koordinieren konnten (z.B. Raubtiere abwehren, während andere Fleisch und Knochen vom Kadaver trennten), hatten bessere Überlebens- und Fortpflanzungschancen als Gruppen, in denen Mitglieder dies nicht so gut konnten.

So vermuten Anthropologen, dass unter diesen Umweltbedingungen bestimmte Fähigkeiten für soziale Wahrnehmung und ein erhöhtes soziales Temperament vorteilhaft waren. Diese Eigenschaften breiteten sich also durch natürliche Selektion in den Populationen unserer Vorfahren aus.

Anthropolog:innen wie die Forschenden am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig erforschen in verschiedenen Experimenten und Beobachtungen, welche Verhaltensweisen nötig sind, damit Individuen gemeinsam eine Nahrungsquelle ausschöpfen können.

Steinzeitjagd-Spiel

Dieses Spiel simuliert die Herausforderung der kooperativen Nahrungssuche, mit der unsere Vorfahren in Afrika konfrontiert waren und macht deutlich, welche sozialen Fähigkeiten für die kooperative Nahrungssuche notwendig sind.

Ursache-Wirkungsdiagramm

Die Umweltbedingungen der Savanne waren derart, dass diejenigen erhöhte Überlebens- und Fortpflanzungschancen hatten, die tierische Nahrungsquellen ausschöpfen konnten. Unter denjenigen, die anfingen, tierische Nahrungsquellen auszuschöpfen, hatten wiederum diejenigen größere Überlebens- und Fortpflanzungschancen, die auf kooperative Weise Nahrung beschaffen konnten. Denn die Umweltbedingungen (Räuber und Konkurrenten) waren auch derart, dass Primaten für die Beschaffung von tierischer Nahrung miteinander kooperieren mussten, um sich vor Fressfeinden und Konkurrenten zu schützen, und um gefundene Nahrung unter allen in der Gruppe aufzuteilen.

Besser miteinander kooperieren, um tierische Nahrung auszuschöpfen, konnten wiederum diejenigen, die eine gute soziale Wahrnehmung sowie und ein relativ friedvolles soziales Temperament hatten, so dass sie weniger aggressiv gegenüber anderen Gruppenmitgliedern waren und es tolerierten, mit anderen die gleiche Nahrungsquelle zu teilen.

Gene, die an der Ausbildung dieser Eigenschaften beteiligt sind, wurden an die Nachkommen vererbt, welch wiederum aufgrund der Ausbildung dieser Eigenschaften erhöhte Überlebens- und Fortpflanzungschancen hatten.

Künstliche Selektion von sozialem Temperament

In diesem Video geht es um die Domestizierung – oder “Zähmung durch Züchtung” – von Füchsen, ein russisches Forschungsprojekt, das seit den 1950er Jahren durchgeführt wird. Es zeigt, welche Verhaltensmuster der Füchse bei der Züchtung selektiert wurden, was über die genetischen Anlagen für diese Verhaltensmuster herausgefunden wurde, und inwieweit die Züchtung von Füchsen mit der Züchtung von Hunden vergleichbar ist.

Mögliche Diskussionsfragen zum Video:

  • Welche Merkmale wurden selektiert bzw. waren für die Zucht von Füchsen (und auch Hunden) von Interesse?

  • Was bedeutet „hyper-sociability„? Welche Verhaltensmerkmale sind damit verbunden?

  • Beschreibe das einfache Experiment, das die Züchter durchführen, um die Geselligkeit (sociability) von Hunden, Füchsen und anderen domestizierten Tieren zu bewerten.

  • Wird zahmes und freundliches Temperament nur durch vererbte Gene bestimmt? Wenn nein, durch welche anderen Faktoren?

  • Warum erforschen Genetiker das Genom von gezüchteten Füchsen anstelle von gezüchteten Hunden, um zu verstehen, welche Bereiche des Genoms das soziale Temperament beeinflussen könnten?

  • Welche äußeren Merkmale / Körpermerkmale sind noch mit Domestizierung verbunden, zusätzlich zu sozialem Temperament?

Literaturangaben